Im Dezember, wenn Ihr Eure Einkaufslisten für Weihnachten zusammenstellt, gehen die Kubaner auf´s Land, um bei der ZAFRA (Zuckerrohrernte) zu helfen. Ich war 1997/98 einer von ihnen.
ZAFRA, das ist eine der jährlichen Schlachten der Kubaner gegen die USA-Blockade. Ich wollte dabei sein und rüstete mich mit schweren Schuhen aus Schweinsleder und dicken Sohlen aus. Dafür zahlte ich 105 Pesos, einen Drittel meines Monatslohnes. Doch sie haben sich bewährt, jeden Tag 10 Stunden Arbeit auf steinigen Feldern, manchmal im Schlamm und oft unter brennender Sonne. Ich werde mit ihnen noch den höchsten Berg Kubas besteigen, den Pico Turquino. Ich weiß, sie werden mich nicht im Stich lassen, obwohl es keine Nike´s sind, sondern Arbeitsschuhe Made in Cuba.
Das ist Zuckerrohr Caña de azucar [Foto: Cubainfo]
Das Camp "Victoria de Girón" liegt mitten in grünen Zuckerrohrfeldern nur 3 km vom Ort Jaruco entfernt. Schon von weitem sehe ich einen riesigen Wassertank über die Unterkünfte ragen. Da weiß ich, daß ich mich jeden Tag duschen kann, anders als in dem Stadtteil von Havanna, in dem ich wohne.
Bei der Ankunft lerne ich meinen neuen Chef, den "jefe de la brigada", kennen. Pablo arbeitet in der Metallindustrie von Havanna und ist Mitglied der KP Kubas. Er ist 50 Jahre alt und das ist seine 20. Zafra. Von ihm lerne ich, das Rohr sicher und effizient zu schlagen. Eines Tages z.B. reißt er mich plötzlich zur Seite, um zu verhindern, daß ich eine "pica-pica" berühre, eine Pflanze, die wie 50 Moskitos auf einmal brennt.
Im Lager erhalte ich "mocha, jarra y cuchara": eine kurze Machete (rechteckig an der Spitze nicht so aufgepeppt wie die aus den Souvenirläden), einen Becher aus Aluminium und einen Löffel. Dazu kommen dicke, weiche Arbeitshandschuhe.
Am Abend des ersten Tages singen die Arbeiter kubanische Schlager. Einige malen auf ihre Stroh-hüte Sprüche wie "Der König bin ich..." Wir spielen Domino und sehen Nachrichten, Sport und die langweilige kolumbianische "novela". im Fernsehen. Besonders interessieren uns die Wettervorhersagen. Wenn es regnet, können wir nicht arbeiten und bekommen nur einen niedrigen Grundlohn.
150 Macheteros arbeiten und leben hier, aufgeteilt in drei Brigaden. Einige haben einen Arbeitsvertrag bis zum Jahresende mit der nahegelegenen Kooperative. Die Mehrheit jedoch ist für 100-120 Tage von ihren Arbeitsplätzen in der Stadt freigestellt. Was sind ihre Motive? Die revolutionäre Tradition, freiwillige Arbeit für das Vaterland zu leisten, dabei natürlich besser als in der Fabrik bezahlt zu werden, sind Erklärungen, die mir zuerst einfallen. Wochen später werden mir andere wichtige Gründe klar: die persönlichen Bindungen der Macheteros untereinander über Jahre hinweg, gemeinsam diese schwere Arbeit zu leisten, Erfahrungen und Erfolge zu teilen. Am Tage der Ankunft viele Umarmungen, Begrüßungen wie unter Brüdern. Sie wohnen in verschiedenen Städten, haben unterschiedliche Hautfarbe und Berufe. Doch sie haben schon gemeinsam 10, 20, 30 Zafras geschlagen, kennen ihre Biographien, Charaktere und Familiengeschichten. Viele nahmen an Einsätze in Nikaragua oder Angola teil, haben sich das Wasser oder die Munition in den schwierigsten Momenten geteilt. Das verbindet Menschen und fördert Zusammengehörigkeit.
Die Lebensbedingungen im Camp: lange Schlafsäle, jeweils mit 50 Doppelstockbetten. Jeder von uns hat einen Stuhl und einen Spind. Die Möbel hier sind aus Faserplatten, die aus den Resten des ausgepreßten Zuckerrohrs hergestellt werden. Denn Holz ist knapp in Kuba. Jedes Bett hat ein Moskitonetz (zur Erinnerung: die Revolution hat zwar die Malariamücken ausgerottet, doch es gibt noch andere Moskitos. Diese Biester können Dir leicht den Schlaf rauben, wenn Du das Netz nicht fest über Dein Bett spannst.) Die Duschen haben kaltes Wasser. Heißes Wasser produziert ein offenes Feuer daneben, und Du mußt Dich mit einem Eimer selbst bedienen, um noch mehr Badespaß zu genießen.
Unser Tag beginnt um 05.30. Wir gehen zu einer komfortloser, jedoch hygienischen Toilette, trinken schwarzen Kaffee, essen ein Stück Brot und eine Getreidesuppe. Die Suppe schmeckt nach nichts. Doch sie ist heiß und im Dezember ist es morgens kühl in Kuba. Die Traktoren mit den "caretas" (lange Anhänger, auf denen das Zuckerrohr transportiert wird) kommen um 6.00. Bevor wir aufsteigen, spricht der Campchef mit uns. Er erklärt, wie wichtig es ist, das Rohr "bajito" - schön tief zu schneiden also so dicht am Boden wie möglich. Denn ganz unten hat das Rohr den höchsten Zuckergehalt... Gestern hat jemand die Glühlampe aus dem Duschraum gestohlen. Wir sollten besser auf unser Eigentum aufpassen... Ein Veteran der Zafra schimpft, daß die Yucca zu hart gekocht wird ...Die Arbeiter fragen nach Fahrgelegenheiten, um den 1. Januar, den Tag der Kubanischen Revolution bei ihren Familien zu verbringen....Die Morgenbesprechung ist zu Ende.
Die Fahrt zu den Feldern dauert ca. 10 Minuten. Wir beginnen ohne Verzug mit der Arbeit. Jedem werden vier Reihen zugeteilt. Der eine arbeitet schneller, der andere langsamer. Die Sonne steigt und bald spüren wir die 30° C auf unseren Rücken. Monotone Arbeit. Kurze belanglose Gespräche sorgen ab und zu für etwas Erholung. Gegen 10.00 kommt der Traktor mit der "merienda": Brot mit Fleischpaste oder Eiern. Dann arbeiten wir weiter. Mittagessen gegen 13.00: Gekochter Reis, Bohnen, Yucca, Boniato. Ein erquickliches Schlummerchen im Schatten, rechts neben einem Berg geschlagenen Zuckerrohrs. Wir suchen nach den halbwilden, saftigen Früchten der Guayaba, die am Straßenrand wächst. Dann, weiter arbeiten. Unterbrechungen nur, wenn wir die Macheten schärfen. Eine weitere "merienda" gegen 16.00. Um diese Zeit brennt die Sonne am meisten. Wir haben ein Faß mit Trinkwasser bei uns. Wassertrinken ist nicht sehr hygienisch, denn jeder taucht seinen benutzten Becher hinein. Der große Eisblock, der morgens noch in dem Faß schwamm, ist schon längst aufgetaut. Manche Macheteros machen "Guarapo" (Zuckerrohrsaft), indem sie das Rohr sorgfältig wie ein Handtuch auswringen. Gegen 18.00 holt uns der Traktor mit der "careta" zum Abendessen. Dieses besteht normalerweise aus einer Suppe, Reis, Bohnen, Schweine- oder Geflügelfleisch (Fleisch 2-3 Mal in der Woche), Rote Bete, Kohl, Orangensaft und etwas Gebäck alles in großen Mengen. Die Speisereste bekommen die 4 Schweine, die im Camp gehalten werden. 0,50 Pesos bezahlen wir pro Tag für das Essen, bei einem Monatslohn von 300-500 Pesos.
Zuckerrohr kann bis 5 Meter hoch wachsen, wenn es genügend gedüngt wird. Ohne Dünger bleibt es so klein wie der Machetero. Wir schlagen beide Sorten. Doch schlechtes Rohr bedeutet nicht weniger Lohn, da es vier Tarife in Abhängigkeit von der Qualität der Ernte gibt.
Eines Tages höre ich ein lautes Geräusch von den Nachbarfeldern, so als wären dort Panzer oder Hubschrauber. Neugierig gehe ich auf die andere Seite des Hügels. Dort sehe ich drei rote riesige Erntecombines, die genau dafür gebaut worden sind, wofür ich hierher gekommen war: Zuckerrohr zu schneiden. Ich bestaune diese gigantischen Maschinen, die in Holguin projektiert und gebaut worden sind. Das sind die kubanischen Panzer gegen den Blockadekrieg. Jede Combine erntet in 15 Mi-nuten das, was ich an einem Arbeitstag schaffe! Doch warum machen wir Männer dann noch diese harte Arbeit? Schuld sind die Steine. Auf Feldern mit großen Steinen können die Combines nicht ein-gesetzt werden. Wenn die Schneidemesser höher gestellt werden, verlieren wir eine Menge des wertvollsten Rohrs. Kann das Schneiden so umfunktioniert werden, das die Maschinen sogar auf steinigen Feldern arbeiten? Könnte das nicht eine Aufgabe für neue Technologien sein?
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